Nachrichten und Informationen aus der Barlachstadt Güstrow

"Stolpersteine" in Güstrow

Wer ärgert sich nicht, wenn er stolpert. Vielleicht war es die eigene Unachtsamkeit. Oder war es ein Hindernis auf dem Weg, wo ich es nicht erwartet hatte? Könnte es auch sein, dass es sich jemand vorgenommen hatte, mich ganz speziell auf etwas aufmerksam zu machen?

Am Montag, dem 27.Juli 2009, werden im Laufe des Vormittags an vier Stellen in Güstrow "Stolpersteine" im Gehweg eingesetzt. Das sind Betonquader, versehen mit einer Messingplatte. Darauf stehen der Name und das Geburtsjahr eines Menschen und dazu fast immer die Worte: deportiert - ermordet - Auschwitz - Theresienstadt. Gunter Demnig heißt der Mann, der von dem Gedanken nicht los kam, Namen von Menschen auf der Straße namhaft zu machen, die zu einer Nummer degradiert und umgebracht wurden. Seit 1995 sind in Deutschland und in einzelnen angrenzenden Ländern etwa 18.000 solcher Steine verlegt worden. Was es mit diesen Steinen auf sich hat, so Demnig, das hat ein Schüler auf unübertroffene Weise so zum Ausdruck gebracht: "Man fällt nicht hin, man stolpert im Kopf."

In der Zeit von 1933 - 1945 geschah durch Deutschland etwas Ungeheuerliches, Unvorstellbares, Noch-Nie-Dagewesenes. Sechs Millionen Juden wurden getötet. Es war im Jahr 1937, als Adolf Hitler auf dem Reichsparteitag der NSDAP in aller Öffentlichkeit kundtat: "Es handelt sich bei dieser Rasse- gemeint sind die Juden - weder geistig noch moralisch um eine überlegene, ... sondern um eine durch und durch minderwertige." Diese Rede erschien in vollem Wortlaut in der "Mecklenburgischen Tageszeitung"  vom 14. September unter der Schlagzeile: "Des Führers große Schlußrede in Nürnberg". Diese Zeitung versteckte  der letzte Kantor und Lehrer der jüdischen Gemeinde Güstrow, Kurt Schatz, mit anderen Schriftstücken unter den Dielen des Betsaales im Gemeindehaus im Krönchenhagen. Wir können nur erahnen, welche Ängste dieser Mann und seine Frau quälten, wenn sie an sich und ihre beiden Kinder im Alter von 9 und 3 Jahren dachten. Bei der Sanierung des Hauses wurden im Jahre 2002 - also nach 65 Jahren - diese Schriftstücke entdeckt. Ein Jahr nach Hitlers Rede wurde mit der Zerstörung unzähliger Synagogen in ganz Deutschland in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 ein unübersehbares, flammendes Zeichen gesetzt. Die Synagogen durften nicht gelöscht werden. Parallel dazu lief die Verhaftung vieler Juden. In einem Schreiben der Landesanstalt Neustrelitz vom 10.November 1938 ist zu lesen: "Betr. Unterbringung von Schutzhäftlingen  in der Landesanstalt Neustrelitz - Strelitz. Ich bringe hiermit zur Kenntnis der Oberbehörde, daß die Geheime Staatspolizei heute und morgen insgesamt etwa 200 in Schutzhaft genommene Juden aus dem Landesgebiet in der Landesanstalt unterbringen wird." Betroffen sind 12 Juden aus Güstrow,  später noch zwei weitere. Unter der laufenden Nr. 52: Schatz, Kurt - Geburtsdatum 1.12.1904 in Wien. Am 21.12.1938 teilt die Landesanstalt mit, daß "Kurt Schatz noch gestern abend um 20 Uhr 15 Minuten von hier entlassen wurde. Schatz erklärte noch, daß er vorerst nach Berlin fahren würde, wo sich seine Frau, die bei seiner Verhaftung aus Güstrow ausgewiesen sei, bei seinemSchwager Natanson  in NW 87 Lewitzowstraße 13 a aufhalte."  Die Schwägerin Klara Leshinski gibt am 7.1.1957 Auskunft über die letzte Wegstrecke der Familie Schatz: Transport von vier Personen am 23.6.1942 von Gleiwitz - Todesort: Theresienstadt. Das Dokument befindet sich in Yad Vashem/Jerusalem, The Central Database of Shoah Victim`s Names.

Angesichts der sparsamen Daten zur Lebenslinie der Familie Schatz wird der Moloch Holocaust erkennbar. Eine uralte, vor weit über zweitausend Jahren festgehaltene Klage in der hebräischen Bibel - dem Alten Testament - erfährt europaweit im vergangenen Jahrhundert erschütternde Realität: "Die Schmach bricht mir das Herz und macht mich krank. Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand, und auf Tröster, "aber ich finde keine (Psalm 69 Vers 21)."

Warum "Stolpersteine" ? Der Schüler hat es auf den Punkt gebracht: "Man fällt nicht hin, man stolpert im Kopf."
Folker Hachtmann

Zur Verlegung der "Stolpersteine" in Anwesenheit von Landesrabbiner William Wolff/ Schwerin laden am 27. Juli 2009 die Barlachstadt Güstrow und der "Freundeskreis Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Güstrow e.V."ein:
09:00 Uhr Hansenstraße 1
09:30 Uhr Domstraße 5
10:00 Uhr Baustraße 34 (Freifläche neben dem Technischen Rathaus)
10:30 Uhr Krönchenhagen 13